Habbel GmbH

Die Zukunft liegt in den Städten

Neujahrsansprache von Franz-Reinhard Habbel am 07.01.2013 in Langen, Niedersachsen
(es gilt das gesprochene Wort)
Deutschland geht es gut. Alles in Butter könnte man meinen. In Europa stehen wir gut da! Während um uns herum leider immer mehr Menschen ihre Arbeit verlieren – neueste Schätzungen für Europa gehen von bis 20 Millionen Menschen aus- sind hierzulande so viele Menschen beschäftigt, wie nie zu vor.
In Deutschland sind 41,6 Millionen Menschen erwerbstätig. Die Zahl der Studienanfänger stieg im vergangenen Jahr auf die Höchstzahl von 515.800.
1.307 Weltmarktführer gehören dem deutschen Mittelstand an. Zum Vergleich: Deutschland hat damit mehr Weltmarktführer als USA, Japan, Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich, China und England zusammen!
Durch das Wachstum steigen die Steuereinnahmen und es sinkt die Verschuldung.
Das Rückgrat unserer Gesellschaft bilden die aktiven Menschen in unserem Land, die tag-täglich früh morgens aufstehen, zur Arbeit gehen oder sich ehrenamtlich engagieren.
Zugleich kümmern sie sich als Eltern um eine gute Erziehung und Bildung ihrer Kinder oder auch um die häusliche Pflege eines Angehörigen. Sie sind die Leistungsträger des Alltags. Ein Drittel aller Jugendlichen engagieren sich ehrenamtlich.
Warum müssen wir modernisieren, wenn es uns gut geht? Es ist doch alles in Ordnung!
Nicht wir müssen reformieren, sondern die anderen sind dran, die Griechen, die Italiener die Spanier und vielleicht die Franzosen.
Das mag so sein – aber jetzt sind wir dran!
Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen müssen auch wir uns verändern!
Was bedeutet das? – Geht es um noch mehr Staat?
Wenn wir die letzten Wochen betrachten taucht in der politischen Debatte immer häufiger das Wort „Rechtsanspruch“ auf. Da gibt es den beschlossenen RA auf einen Kita-Platz ab 1.8. diesen Jahres – der im Übrigen den Kommunen große Probleme bereitet
Wohlfahrtsverbände fordern zur Bewältigung des Pflegenotstandes einen Rechtsanspruch auf eine „Pflege-Auszeit“, im Übrigen müssten die Arbeitgeber sich finanziell beteiligen.
Frau Nahles will mit einer staatlich bezuschussten 30-Stunden-Woche für junge Väter und Mütter die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken.
Die CSU setzte das Betreuungsgeld durch. Es mag im Einzelnen gute Gründe für Neuregelungen geben, aber überall Rechtsansprüche zu formulieren ist ein falsches Signal. Der Staat kann nicht alles leisten – auch wir selbst müssen uns fragen, was können wir tun? – Wo setzen wir unsere Schwerpunkte. In Europa tobt ein Taifun – an seinen Rändern nehmen die Verwerfungen zu. Wir Deutschen leben mitten in dem Taifun – da ist es bekanntlich ruhig. Noch scheint alles sicher, bevor die Zeiten schlechter werden – nun wollen wir schnell noch unsere Ansprüche festzurren.
Ich glaube, dass dieses Verhalten nicht dem Denken der Bürgerinnen und Bürger entspricht – Sie sind viel weiter als die Politik, als Institutionen und Verbände, die sich zum Sprachrohr der Gesellschaft machen.
Im Gegensatz zur Alarmlobby sehen sie zum Beispiel in dem Megatrend des Alterns nicht gleich eine Überalterung, eine Vergreisung oder eine demografische Katastrophe, sondern etwas Positives.
Die Bürgerinnen und Bürger sind Realisten – Sie sehen mit Zuversicht ins Neue Jahr und das ist gut so!
Im Gegensatz dazu deuten einzelne Funktionäre den Trend vom Vater Staat zum Bürgerstaat komplett um! Der Staat muss es richten, es muss für alles zahlen und wenn es nicht der Staat ist, dann die Unternehmen. Gerechtigkeit lässt sich am besten mit Rechtsansprüchen herstellen – so einfach ist es aber nicht. Längst spüren die Menschen, dass wir den Staat nicht überfordern dürfen.
Der Schuldenberg ist auf zwei Billionen Euro angewachsen. Wir zahlen dafür täglich 170 Millionen Euro Zinsen.
Die Frage muss lauten: Sind wir in der Lage, einen effektiven Sozialstaat zu bauen, der sich nicht selbst ruiniert! – Wie geht es mit der Altersversorgung weiter? Wie schaffen wir ein Gesundheitssystem, das uns gesünder macht?
Die Zeichen stehen auf Veränderung.
Wirtschaft, Staat und Gesellschaft befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel – so wie er vielleicht alle fünfzig Jahre vorkommt.
Treiber dieses Wandels sind insbesondere die Megatrends Globalisierung, Vernetzung, Alterung, Individualisierung und Feminisierung.
Mit voller Wucht kegeln sie alles durcheinander – von Institutionen über Unternehmen bis hin zu Behörden – Vernetzung verändert Hierarchien.
Wir sind auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung. Das asiatische Zeitalter ist angebrochen – Europa spielt nicht mehr die Dominanz
Die tiefgreifenden Veränderungen kommen durch neue Technologien. Wir stehen an der Schwelle zum mobilen Internet
Was heißt das?
Die Vernetzung wird weiter zunehmen – die Welt wird zum Dorf. Informationen werden künftig, mobil, zeit- und kontextbezogen individuell zur Verfügung stehen. Damit wird sich unser Verhalten ändern – zielgenaue Angebote steigern den Service und mindern den Verbrauch von Ressourcen. Die vierte industrielle Revolution hat bereits begonnen. Nach der Dampfmaschine, der Elektrizität, des Fließbandes kommt jetzt die Vernetzung von Maschinen, Bauteilen, Werkzeugen, Arbeitern und Transportbehältern.
Ähnlich wie Facebook – wo Menschen sich vernetzen – wird es auch ein Netzwerk geben, wo Dinge sich selbstständig vernetzen.
Bauteile haben ein embedded Kommunikationsteil und sagen – Achtung hier bin ich! – sie sagen selbständig der Maschine die nächsten Bearbeitungsschritte und nicht mehr die Zentrale. Die künftige Fabrik besteht aus vielen kleinen Bausteinen. Unternehmen vergeben Aufträge dorthin, wo sie gerade kapazitätsmäßig abgearbeitet werden und das Material vorhanden ist Die Fabrikwelt wird flexibel.
All das hat eminente Auswirkungen auf die Logistik und damit den Verkehr.
Die Mobilität nimmt immer weiter zu.
Die Anzahl der beförderten Personen im Personennahverkehr in Deutschland beläuft sich auf weit über zwei Milliarden pro Jahr.
Rund 44 Millionen Autos sind in Deutschland zugelassen.
Weltweit befinden sich in diesen Minuten rund 500.000 Menschen in der Luft – in Flugzeugen.
Künftig werden wir nicht mehr von den einzelnen Verkehrsträgern sprechen wie Auto, Bahn und Flugzeug, sondern von Mobilität. Die Frage lautet: Wie kommen wir von A nach B ressourcenschonend, preiswert und schnell?
Wir stehen zum Beispiel vor einer umfassenden Vernetzung des Autos.
Heute sind wir dabei, das Internet in das Auto zu bringen – morgen bringen wir das Auto ins Internet.
Junge Leute entscheiden bei der Nutzung – ich spreche nicht mehr vom Kauf – des Autos nach dessen Kommunikationsfähigkeit in Verbindung mit dem Internet.
Facebook, Wettervorhersagen, Google-Services und E-Mail sind heute schon möglich.
Demnächst werden Autoradio, CD-Spieler und Navigationsgerät überflüssig, da die Funktionen im Stream u.a. über flächendeckendes LTE aus dem Internet zur Verfügung stehen.
Für uns interessant ist die intermodulare Routenführung. Was heißt das? Das Fahrzeug nimmt Kontakt mit dem öffentlichen Nahverkehr auf und prüft ständig die optimale Mobilität wie ich mein Ziel schneller erreiche.
Ist es dann der ÖPNV, kann das Bahnticket aus dem Auto online gebucht werden und wird via Internet in das Auto auf den Microchip im Schlüssel gespeichert. – Der Rest können Sie sich denken in dem dann der Autoschlüssel beim Kontrollterminal der S-Bahn auslesen wird. Weitere Dienste wie die Buchung und Zahlung von Parkplätzen, Hotelzimmern usw. sind denkbar.
Das alles ist keine Zukunftsmusik, sondern ein aktuelles Projekt bei BMW.
Ähnliche Entwicklungen haben wir im Bereich der Kommunikation (Soziale Netzwerke wie Facebook) aber auch der Energieversorgung mit der Energiewende
Welche Rolle spielt dabei die Politik, Wo spielt sich heute Politik ab?
Die zentralen Debatten der Gegenwart werden nicht im Deutschen Bundestag ausgetragen, sondern spielen sich in den Städten und Gemeinden ab.
Nicht was in der Hauptstadt erdacht wird prägt das Land, sondern die Realität in den mehr als 10.000 Städten und Gemeinden.
Die Städte sind die Schrittmacher der wirtschaftlichen Entwicklung.
Die Suche nach Kinderbetreuung, nach einem ordentlichen Kindergarten, nach Schulen die unsere Kinder auf eine Welt vorbereiten, die anders sein wird als die heutige, bewegt unmittelbar die Menschen vor Ort. Es sind die Migranten, die in den Städten ihr Leben neu ausrichten wollen. Es sind die jungen Leute, die in den Städten sich selbständig machen wollen. Es sind die Senioren, die in den Städten ihre Fähigkeiten in die Wirtschaft und in die Gesellschaft weiter einbringen wollen. Es sind die Handwerker und Mittelständler, die für Wachstum und Arbeitsplätze in unserem Land sorgen.
Alles ist in den Städten vertreten, von Hartz IV-Empfängern über ehrenamtlich Engagierte bis zum Spekulanten, die zur Gentrifizierung von Stadtteilen beitragen.
Das bedeutet, dass die lokale und regionale Politik gefordert ist wie noch nie! Sie sollte nicht einfach von oben kommen, sondern gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet werden
Unsere politischen Institutionen werden dieser neuen Realität aber nicht gerecht.
Wir müssen die Demokratie vom Bürger her denken und nicht von den Institutionen. Es geht nicht darum, den Nationalstaat zu ersetzen, sondern Sinnvolles zu bewahren und Gefährliches aufzugeben. Das hört sich einfach an, ist aber schwer in einem Land, wo seit Jahrzehnten die Politik sagte, wo es lang geht.
Das Zauberwort heißt Subsidiarität.
Das bedeutet, dass die unterste Ebene Vorrang hat vor der höheren Ebene.
Das was in der Kommune geleistet wird, sollte auch dort eigenverantwortlich entschieden und getan werden.
Notwendig ist eine Stärkung der Kommunen.
Das bedeutet weniger Regelungen von oben, mehr Freiräume und eine auskömmliche Finanzausstattung.
Die Kommunen dürfen in ihrer Verantwortung nicht allein gelassen werden. In den nächsten Jahren werden sich die Aufgaben noch vergrößern.
Wie sieht die Stadt der Zukunft aus?
Die Stadt der Zukunft ist eine weitgehend energieautarke und emissionsfreie Stadt. Nachhaltigkeit steht ganz im Vordergrund von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Minimierung des Ressourcenverbrauchs steht ganz oben auf der Tagesordnung. Energie, die nicht verbraucht wird, braucht erst gar nicht erzeugt werden!
Die Stadt der Zukunft zeigt sich an der Änderung der Lebensstile.
Der tragfähige Lebensstil heißt Nutzen statt Besitzen oder Sharing Economy.
Warum muss ich eine Bohrmaschine……….
Jungen Leuten ist das Auto nicht mehr so wichtig wie noch vor zwanzig, dreißig Jahren.
Warum muss ich ein „Steh“Auto (es steht oft bis zu 22 Stunden am Tag herum) kaufen, wenn es auch anders geht?
Neue Mobilitätsplattformen entstehen – soziale Netzwerke machen es möglich -, das sich die Menschen untereinander ein Auto leihen oder sich zum Mitfahren finden – Unternehmen sind nicht mehr zwischengeschaltet.
Die Plattform Mitfahrzentrale hat im Internet täglich mehr Hits als die von der Deutschen Bahn.
Die Stadt der Zukunft ist eine Bildungsstadt.
Schulen sind Teil einer kommunalen Bildungslandschaft.
Die Stadt der Zukunft ist eine kommunikative Stadt – Sie wird selbst zur Plattform.
Ein neues Miteinander entsteht zischen Firmen, Mitarbeitern, Bürgern und Kommune.
Die Stadt ist das IPhone – liefert praktisch die Hardware und die Basis-Software und stärkt dadurch die Möglichkeit, dass Bürger oder Unternehmen Anwendungen in Form von Apps erstellen können. Damit stellt sich das Environment für Partizipation, Innovation und Selbstorganisation.
Kontakte werden geknüpft – Vereinbarungen getroffen von Bürger untereinander – Konsumenten mit Unternehmen – Arbeitnehmer mit Arbeitgebern Bürgern mit dem Staat. Menschen können sich treffen und sich austauschen. Die Stadt der Zukunft ist eine offene und kreative Stadt.
Nach wie vor gelten die drei Ts von Richard Florida: Technologie – Talente – Tolerance für Prosperität und Kreativität.
Der Kampf um Talente wird nur erfolgreich geführt werden können, wenn auch die Rahmenbedingungen moderner Arbeitsorte und hochleistungsfähiger Kommunikationsinfrastrukturen stimmen.
Die Stadt der Zukunft ist eine bürgerorientierte Stadt. Sie muss das soziale Kapital identifizieren, stärken und nutzbar machen.
Unser Land hat große Chancen zum Stabilitätsanker in Europa zu werden.
Drei Künste sind es, die die Menschen in Deutschland auszeichnen: Handwerkskunst – Ingenieurkunst – Kaufmannskunst.
Hieraus können wir auch was für die Zukunft machen.
„Wer heute den Kopf in den Sand steckt, knirscht morgen mit den Zähnen.“
Stecken Sie den Kopf nicht in den Sand – gehen Sie mit Zuversicht in das neue Jahr 2013!
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