Habbel GmbH

„DIE ZEITEN ÄNDERN SICH RASANT“ – Mit Daten Politik machen

Hans-Josef Vogel und Franz-Reinhard Habbel in Arnsberg im Gespräch Foto: Habbel

(Rede von Franz-Reinhard Habbel zur Amtseinführung des neuen Regierungspräsidenten Hans-Josef Vogel im Regierungsbezirk Arnsberg am 29.8.2017)
Was die Digitalisierung betrifft, müssen wir stärker politisch denken. Die technische Entwicklung läuft dramatisch schnell. Das politische System kommt da nicht mit. Wir haben einen enormen Gestaltungsauftrag.
Wenn wir aus dem Weltraum auf Europa schauen, was sehen wir? Wir sehen keine Grenzen, keine Staaten, keine Nationen. Was wir sehen sind helle Lichtpunkte. Das sind die Städte. In ihnen pulsiert das Leben. Hier entsteht Wachstum, hier werden Ressourcen verbraucht, hier leben und arbeiten die Menschen. Wir erleben seit einigen Jahren einen extremen Bedeutungszuwachs der Städte und Gemeinden.

(1) Kommunen werden immer wichtiger 

Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten der Gestaltung die Lebensqualität zu verbessern, den Standort zu sichern und uns für die Zukunft fit zu machen. Nur, wir müssen es auch tun! In vielen Bereichen haben wir ein Nachholbedarf und ein Umsetzungsproblem.
Wir sind zu langsam. Denn die Technik läuft mit schnellen Schritten der Politik und der Verwaltung voraus. Wir müssen uns intensiver um die Zukunft kümmern.
Die Zukunft wird lokal gemacht 
Das ist nicht nur ein einfach formulierter Satz, sondern ein fundamentaler Grundsatz. Probleme entstehen lokal und müssen auch lokal und regional gelöst werden. Hier liegt das Wissen um die Lage, hier entstehen Ideen und neue Konzepte. Sicherlich können wir die Zukunft nicht vorhersagen, wir können sie aber mitgestalten.
Betrachten wir unsere Arbeit von außen so stellen wir fest, dass wir weitgehend Gegenwartsbezogen unterwegs sind. Wir modernisieren hier und da etwas, optimieren Abläufe und Prozesse, fördern Innovationen. Diese Gegenwartsbezogenheit ist auch verständlich: Geht es Deutschland doch gut.
Wir sind ein erfolgreiches Land
Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit ist so gering wie seit 1982 nicht mehr. Der soziale Friede ist gewahrt. Bund, Länder und Gemeinden nehmen monatlich rund 60 Milliarden Steuern ein. Im Jahr 2016 sind die Steuereinnahmen der Kommunen im Bundesdurchschnitt um 6,1 Prozent auf 98,7 Mrd. gestiegen. Die Kommunen investieren in Infrastrukturen, auch wenn wir einen hohen Nachholbedarf von 126 Mrd. Euro haben. International steht Deutschland gut dar. Warum sollten wir was ändern? Warum müssen wir unser Land modernisieren? Es ist doch alles okay!
Ist wirklich alles in Ordnung?
Die weltweiten Klimaveränderungen haben Auswirkungen bis in das letzte Dorf. Mehr als 60 Millionen Menschen sind auf Flucht. Migration wird zu einem zentralen Thema. Die Weltbevölkerung steigt auf 9 Mrd. Im Jahre 2050 an. Dann leben 75 Prozent der Menschen in den Städten. Täglich ziehen weltweit 150.000 Menschen in die Städte um besser leben zu können.  Die Geo-Politik macht nicht vor Städten und Gemeinden halt.

(2) Gesellschaft und Wirtschaft sind um Umbruch 

Mit ungeheurer Wucht verändern die drei Mega-Trends Globalisierung, Urbanisierung und Digitalisierung Wirtschaft, Gesellschaft und Staat und damit jeden von uns. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Die Folgen sind zu spüren. Wir erleben, dass Stadt und Land weiter auseinanderdriften. Die Disparitäten zwischen Kommunen nehmen zu. Von gleichwertigen Lebensverhältnissen sind wir weit entfernt. Während in der Provinz ganze Regionen veröden, verschärft sich in den überlaufenen Städten der Konkurrenzkampf um Wohnraum, Jobs und Kitaplätze. Hauptgrund dafür ist die fortschreitende Urbanisierung.Trotz guter Finanzlage sind viele Kommunen arm und können kaum ihre Aufgaben erfüllen.
Was läuft da falsch?
Erfolgreiche Rezepte aus der Vergangenheit helfen nicht mehr. Wir halten viel zu intensiv an der Gegenwart fest, ohne dem Neuen eine Chance zu geben. Nur durch Veränderung können wir die Werte erhalten, die wir geschaffen haben und die uns wichtig sind.
Nun hat es Veränderungen immer schon gegeben. Das ist nichts Neues.
Heute werden aber Gewissheiten in Frage gestellt. Was bisher unvorstellbar ist, wird insbesondere durch die Digitalisierung plötzlich Wirklichkeit. Erste Testautos fahren ohne Fahrer auf den Straßen. Geld kann ohne Banken überwiesen werden. Wer bei der Versicherung einen Erstattungsantrag einreicht, muss damit rechnen, dass ein Roboter über die Bewilligung entscheidet. Texte und Bilder können versandt werden ohne das ein physischer Transport stattfinden muss. Bei diesen Veränderungen dürfen wir aber nicht nur den Schatten sehen, sondern müssen uns auch dem Licht zuwenden!
Der derzeitige Wandel sollte uns nicht dazu veranlassen nur in den Rückspiegel zu schauen „Früher war alles besser“. Denn das war nicht der Fall, die Menschen lebten weniger sicher, wurden nicht so alt wie heute, hatten Arbeitszeiten gerade zu Beginn der Industrialisierung von 10 bis 12 Stunden am Tag.
Es ist interessant einmal einen Zeitsprung zu machen, sagen wir in das Jahr 2050 – das sind von heute 33 Jahre – dann sind die heute hier Jüngsten von uns vielleicht 58 Jahre alt. Die Lebenszeit des Menschen wird sich verlängert haben. Jedes zweite heute schon geborene Mädchen wir statistisch gesehen 100 Jahre alt.Das fahrerlose Auto hat sich durchgesetzt. Parkplätze gibt es nur noch wenige, weil nicht erforderlich – Die Autos fahren 23 Stunden, heute stehen sie 23 Stunden!

(3) Politik ist die Kunst des Möglichen 

Aber ist dies in einer Welt in der sich die Dynamik der Veränderung immer stärker beschleunigt noch der einzige Ansatz? Ich glaube, dass sich Politik auch zur Kunst des Unmöglichen entwickeln muss. Grundsätzliche Fragen, wie gehen wir mit dem Klima um, wie können wir unsere Emissionen in den Städten reduzieren, wie können wir unsere Wohnsituation verbessern, erfordern neue kooperative Ansätze bei denen die Digitalisierung eine entscheidende Rolle spielt. Dieser Gestaltungsauftrag steht inzwischen in weltweiter Konkurrenz. Die drei Mega-Trends Globalisierung, Urbanisierung und Digitalisierung haben Einfluss auf jede Stadt und jedes Dorf. Wie wir leben, arbeiten, uns bilden wird immer stärker vom Internet bestimmt.

(4) Lebenswelt und politische Systemwelt müssen wieder zusammengeführt werden

In der internetgetriebenen Wirtschaft entstehen ständig neue Dienstleistungen. Wenn Sie in den USA ein Haus kaufen wollen, können Sie sich detailliert im Internet über Ihren Nachbarn informieren. Sie erhalten Informationen wo arbeitet der Mensch, war er arbeitslos, war er im Gefängnis, wie groß ist seine Familie und so weiter. Ich halte solche Datenbanken für bedenklich. Sie zeigen aber, wie in einer datengetriebenen Welt Informationen einen eigenen Wert bekommen und immer wieder zu neuen Profilen zusammengesetzt werden können. Ständig entstehen neue Geschäftsmodelle, an den verschiedensten Standortorten dieser Erde. Das ist auch eine Herausforderung für die Kommunen. Wie erhalten Bürgerinnen und Bürger, die an einem bestimmten Ort wohnen wollen oder Unternehmen, die an einem bestimmten Ort investieren wollen, Informationen über die Qualität der Kindergärten, die Erreichbarkeit von Schulen oder die Auskunft, wann ein Breitbandanschluss von 1 GBit zur Verfügung steht? Wo gibt es Mobilitätsplattformen, die nicht nur Auskunft geben über den öffentlichen Personennahverkehr, sondern auch darüber, welche Menschen sich untereinander abstimmen und Mitfahrgelegenheiten anbieten? Wie kann ein Elektroauto automatisch den Fahrer über die Erreichbarkeit der nächsten Ladesäulen informieren, wenn diese Daten nicht auf einer Plattforn transparent gemacht werden?
Um unseren politischen Gestaltungsauftrag auch in Zukunft wahrzunehmen, müssen wir uns stärker vernetzen und unsere Potenziale öffentlich besser darstellen. Staat und Kommunen müssen auch mit Daten steuern und nicht nur mit Geld und Recht.
Unsere Aufgabe ist es, den Nutzen datengetriebener Dienste für Menschen und Unternehmen in den Vordergrund zu stellen. Wie können wir in einer digitalen Welt die e-Daseinsvorsorge sicherstellen? Wie können wir mit vorhandenen Verwaltungsdaten neue Dienstleistungen z.B. in Bereich Vorhersagen und Prognosen entwickeln?
Es geht um eine Neu-Erfindung des Öffentlichen 
Was meine ich damit? Städte und Gemeinden verfügen über enorm viele Daten. Wenn Daten das Öl im 21. Jahrhundert sind, stellt sich die Frage, wer sind die Daten-Raffinerien und wer sind die Ölscheichs? Das könnten zum Beispiel moderne Rechenzentren sein die Daten zu neuen Informationen und zu neuem Wissen veredeln.

(5) Daten sind das neue Kapital 

Es gilt mit Daten Politik zu machen und damit politisch zu gestalten. Damit die Nutzung von Daten nicht nur in der Welt der Unternehmen stattfindet, müssen wir selbst aktiv werden und unsere Blackbox und damit unsere Datenschränke in der Verwaltung öffnen und dem Thema Open Data größere Aufmerksamkeit widmen. Keine Einrichtung verfügt über so viele Daten wie Kommunen. Bürger erzeugen täglich eine Menge von Daten. Nehmen wir eine normale Autofahrt. Wem gehören die Daten? Wie können Daten für neue Dienstleistungen genutzt werden,

  • um z.B. Verkehrsstaus nicht nur vorher zu sagen, sondern sie durch alternative Verkehrssteuerung im Verbundsystem zu reduzieren bzw. erst gar nicht aufkommen zu lassen,
  • um einen besseren Klimaschutz sicherstellen und unsere Ökobilanz in den Städten zu verbessern.

Alle Politikbereiche sind hier angesprochen. Das ist weit mehr als E-Government. Es geht um smart City und smarte Regionen. Das ist nicht nur eine technische Frage, sondern bedeutet eine umfassende Neuausrichtung der gesamten Stadt- und Raumentwicklung. Eine smarte Stadt muss auch sozial sein. Die zentrale Frage lautet: Wie wollen wir in Zukunft leben?
Was müssen wir tun?
Die Digitalisierung bietet uns große Chancen unseren Gestaltungsauftrag auch in der Zukunft fortzusetzen. Es wird darauf ankommen Kraft und Innovationsfähigkeit aus einem Geist der Offenheit und Selbstverantwortung zu schöpfen. Das geht nur mit den Bürgern und neuen kooperativen Ansätzen mit Wirtschaft und Wissenschaft. Die mit der Digitalisierung mögliche Vernetzung gibt uns ein neues Potenzial, die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und demographischen Herausforderungen meistern zu können.
Mit Daten können wir Politik machen – wenn wir denn Breitband haben – in dem wir neue Dienstleistungen für ein vorausschauendes e-Government auf den Weg bringen und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Dabei geht es nicht nur um Technik. Kommunen müssen ihren Aktionshorizont erweitern, ihre Organisationsstrukturen ständig anpassen und an einer ganzheitlichen Nutzerperspektive ausrichten. Sie werden zum Systemmanager. Wenn zum Beispiel die Erweiterung von Wohnraum in der Stadtpolitik ansteht, muss gleichzeitig über die gesamte Infrastruktur, von Breitband, WLAN, über die Ladesäule, die Luftqualität bis hin Communitybildung im Quartier nachgedacht und geplant werden. Schnittstellen für ständige Veränderungen müssen in die Politik mit eingebaut werden. Wer Daten nutzt ist auf Vertrauen angewiesen. Dieses Vertrauen können Kommunen am ehesten sicherstellen.

(6) Arnsberg – ein smarter Regierungsbezirk

Das Ziel könnte ein smarter Regierungsbezirk sein, ja in einer neuen Art von Kooperation zwischen Land und Kommunen der die Transformation gemeinsam vorantreibt und neue Potenziale für die Menschen und Unternehmen freisetzt. Ein früherer Bürgermeister ist hier der richtige Mann. Es reicht nicht aus, nur unsere Infrastrukturen zu modernisieren. Notwendig auch ist eine Reform unserer Institutionen. Wir müssen das Silodenken aufgeben und uns stärker vernetzen. Um den vielseitigen Veränderungen Rechnung zu tragen, muss sich auch unsere Gremienarbeit verändern. Für eine moderne Kommunalpolitik brauchen wir künftig öffentlich strategische Räume für sachenorientiertes auch interfraktionelles Arbeiten. Teamarbeit und Lösungsorientierung sind hier zwei wichtige Bausteine. Dabei müssen wir stärker auf das soziale Kapital setzen. Als einer der ersten Bürgermeister in Deutschland hat Hans-Josef Vogel die Bedeutung des sozialen Kapitals in der Gesellschaft erkannt aufgegriffen und nutzbar gemacht.
Was die Digitalisierung betrifft, hat der Regierungsbezirk Arnsberg große Potenziale. Viele Hidden Champions befinden hier. Sie brauchen übrigens eine schnelle Breitband-Infrastruktur, sonst sie morgen verschwunden! Städte wie Dortmund, Bergkamen oder Arnsberg und Soest und viele andere haben die Notwendigkeit zur Transformation längst erkannt und setzen sie um. Im Siegerland entstehen mit deutschlandweiter Beachtung die ersten Webkaufhäuser die den stationären Einzelhandel in die Zukunft führen. Gerade die Zukunft des Einzelhandels ist für Städte, Gemeinden und Dörfer existenziell. Die Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Auch der stationäre Einzelhandel hat Zukunft, wenn er sich verändert. Start-Ups sind Hotspots der Digitalisierung. Sie entstehen nicht nur in Berlin, sondern auch im Sauer- oder Siegerland.
Die digitale Wirtschaft bringt auch peripheren Regionen neue Chancen. Nicht nur der Ort ist entscheidend, sondern der Grad der Vernetzung. Neue Felder tun sich auf. Tourismus und Bildung werden künftig eine Symbiose eingehen. Auch das ist eine besondere Chance für den landschaftlich schönen und attraktiven Regierungsbezirk Arnsberg. Die Potenziale gerade im Bereich der Weiterbildung in intakten Landschaften sind erst nur ansatzweise erkannt. Warum nicht eine Sommeruniversität mit internationaler Beachtung auch im ländlichen Raum durchführen?
Und nicht zuletzt geht es um Vernetzung und Kooperationen. Das sind die beiden wichtigsten Schlüsselwörter für eine neue Politik. Vieles ist im Ruhrgebiet, im Siegerland und Sauerland auf dem richtigen Weg. Das sind hervorragende Aussichten heute die Grundlagen für eine vernetzte Wirtschaft zu legen. Ein smarter Regierungsbezirk ist eine Region der Zusammenarbeit und gegenseitigen Bereicherung.
Es ist eine Binsenweisheit: Die Zukunft ist digital. „Die beste Methode die Zukunft vorher zu sagen besteht darin, sie zu erfinden“, sagte einmal der Zukunftsforscher Alan Kay.
Lieber Hans-Josef Vogel, liebe Gäste, ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Erfinden der Zukunft. 

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