Anmerkungen Zum Koalitionsvertrag: Chancen für eine starke Wirtschaft, gerechte Bildung und ein freies und sicheres Internet
Nun ist es soweit. Die Große Koalition hat den Entwurf des Koalitionsvertrages veröffentlicht. Jetzt sind die Parteien, insbesondere die SPD, die eine Mitgliederbefragung durchführt, am Zuge. Mit der 18. Wahlperiode sind Parlament und Regierung „volljährig“ geworden. Es hat eine breite Diskussion über den Koalitionsvertrag stattgefunden. Ständig wurde in den Medien berichtet und Protokolle zitiert. Soviel Öffentlichkeit war noch nie.
Trifft das Erwachsenwerden auch auf den Inhalt der Regierungsarbeit in den kommenden vier Jahren zu? Bekommt Deutschland eine gute Regierung und wird in den nächsten Jahren eine erfolgreiche Politik gemacht? Wie sieht es aus mit notwendigen Reformen z.B. bei den sozialen Sicherungssystemen oder mit der Generationengerechtigkeit? Bedeutet Große Koalition auch ein großer Staat, oder muss das Ziel nicht ein wirksamer Staat sein, der die Herausforderungen meistert und Strukturen und Aufgaben verändert?
Wie sieht es aus mit der Rolle des Staates im Verhältnis zur Wirtschaft und zur Zivilgesellschaft, mit der Modernisierung der Verwaltung? Setzt die Große Koalition Zeichen in Richtung Digitales Deutschland?
Die Antwort lautet: Ja, es tut sich was! Was das Thema digitales Deutschland betrifft, ist der Koalitionsvertrag überraschend gut. Alle wichtigen Themen der letzten Jahre wurden konsequent aufgegriffen und bearbeitet, er ist damit auch eine Art Standortbestimmung. Der Koalitionsvertrag setzt Akzente, in dem die Digitalisierung in ihrer Wirkung auf alle Politikbereiche dargestellt wird. Richtig wird erkannt, dass die anstehende nächste Phase der Digitalisierung in besonderem Maße die Infrastrukturen betrifft: Erfolgsfaktor der Energiewende ist die Digitalisierung der Energieversorgung. Verkehrsinfrastrukturen werden sowohl im Individualverkehr als auch im öffentlichen Verkehr digitalisiert. Wesentliche Veränderung im Gesundheitswesen ist der Aufbau der Telematikinfrastruktur. Das klassische e-Government gerät allerdings in dem Vertrag in den Hintergrund. Die digitale Welt umfasst inzwischen weit mehr.
Was die Digitalisierung betrifft, ist die Große Koalition auf dem richtigen Weg. Zum ersten Mal hat es bei der Erarbeitung des Koalitionsvertrages eine eigene Unterarbeitsgruppe „Digitale Agenda“ gegeben. Sie hatte die Aufgabe, für das Handeln aller Ressorts der Bundesregierung eine gemeinsame Digitale Agenda 2013 bis 2017 zu entwerfen. Die neue Regierung will diese Agenda gemeinsam mit Wirtschaft, Tarifpartnern, Zivilgesellschaft und Wissenschaft umsetzen. Ein solcher kooperativer Ansatz ist neu und begrüßenswert.
Besonders bemerkenswert war die breite Diskussion in der Unterarbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Brigitte Zypries (SPD). Neben den Fraktionen CDU/CSU und SPD arbeiteten Experten aus Ländern und Parteien mit. Angesichts der weiter fortschreitenden Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft wurde schnell klar, dass auch Politik und Verwaltung konsequent den Weg der Vernetzung gehen müssen.
Erfreulich ist, dass man nicht einfach die e-Government-Aktivitäten fortgeschrieben, sondern einen umfassenden Ansatz der Digitalisierung zentraler Politikbereiche aufgegriffen hat.
Welche Bedeutung hat der Koalitionsvertrag im Politikfeld Digitale Agenda für die Kommunen?
Für ein modernes Industrieland ist der flächendeckende Breitbandausbau eine Schlüsselaufgabe. Es gilt, die digitale Spaltung zwischen den urbanen Ballungszentren und ländlichen Räumen zu überwinden. Bis zum Jahr 2018 soll es in Deutschland eine flächendeckende Grundversorgung mit mindestens 50 Mbit/s geben. Ein neues Förderprogramm der KFW soll aufgelegt werden. Zusätzlich soll ein Breitband-Bürgerfonds eingerichtet werden. In diesen Fonds sollen Privatpersonen zu soliden Renditen investieren können.
Insbesondere die nachfolgenden Punkte werden auch Auswirkungen im kommunalen Bereich haben.
1. Freies WLAN im öffentlichen Raum
In den Städten sollen die Voraussetzungen für kostenlose WLAN-Angebote geschaffen werden, heißt es in der Vereinbarung. Wie das sichergestellt werden soll bleibt offen, größtes Hemmnis ist derzeit die Störerhaftung für die Anbieter derartiger Leistungen.
2. Schnelle Unternehmensgründungen
Durch eine Vereinfachung der Prozesse (One-Stop-Agency) soll eine schnelle Unternehmensgründung möglich sein.
3. Programm „Digitale Verwaltung 2020“
Es soll ein Programm „Digitale Verwaltung 2020“ für verbindliche Standards zur flächendeckenden Digitalisierung der Verwaltung auf den Weg gebracht werden. Der Bund wird den Länden vorschlagen, die Programme des e-Governments unter Verantwortung des IT-Planungsrates zu konsolidieren und zu koordinieren. Dabei sind Technologien nach Möglichkeit langfristig so zu planen, dass keine Abhängigkeiten zu intransparenten Protokollen, Software, Hardware oder Herstellern entstehen. Bei der Anschaffung von IT-Technologie durch die öffentliche Hand müssen im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsprinzips Innovationspotenziale und Nachhaltigkeit als mitentscheidende Kriterien bedacht werden.
4. Aufbau eines einheitliches Internetportals 115
Die einheitliche Behördenrufnummer 115 soll ins Internet übertragen werden. Zumindest die 100 wichtigsten und am häufigsten in Anspruch genommen Verwaltungsdienstleistungen sollen innerhalb der nächsten vier Jahre über ein solches Portal bundesweit einheitlich online sicher erledigt werden können.
Den Kommunen soll die Realisierung durch die Bereitstellung einer Toolbox mit den besten Anwendungen zur elektronischen Umsetzung häufig genutzter Verwaltungsdienstleistungen vereinfacht werden. Mit diesem Vorgehen sollen die Folgekosten gering gehalten werden.
5. Einrichtung eines Bürgerkontos
Die Bürgerinnen und Bürger sollen auf Wunsch die Möglichkeit haben, einen einheitlichen Stammdaten-Account zu verwenden. Zur elektronischen Identifizierung soll der neue Personalausweis genutzt werden. Das „Bürgerkonto“ kann zum digitalen Dokumentenpostfach erweitert werden.
6. Bereitstellung eines Open-Data-Portals
Für Bund, Länder und Kommunen soll ein Open-Data-Portal bereitgestellt werden. Der Bund versteht sich als Vorreiter auf dem Gebiet der Bereitstellung offener Daten in einheitlicher maschinenlesbarer Form unter freien Lizenzbedingungen. Die digitale Berichterstattung über den Bundestag und seine Sitzungen sowie über öffentliche Ausschusssitzungen und Anhörungen (z.B. in Streams) soll ausgebaut werden. Sobald wie möglich werden Bekanntmachungen wie beispielsweise Drucksachen und Protokolle in Open-Data tauglichen Formaten unter freien Lizenzbedingungen bereitgestellt werden.
7. Barrierefreie Webseiten
Die Bundesregierung prüft, ob durch ein Prüfsiegel „Barrierefreie Webseiten“ für die Verwaltung und die Wirtschaft die Gleichstellung behinderter Menschen unterstützt werden kann.
9. Unterstützung neuer Formen des bürgerschaftlichen Engagements
Im Netz entstehen neue Formen des bürgerschaftlichen Engagements über soziale Netzwerke und Nachbarschaftsinitiativen. Die Bundesregierung wird diese Entwicklung unterstützen und „Online-Volunteering“-Projekte fördern, z.B. die verbessernde Zusammenarbeit von Bürgerinnen und Bürger mit der Verwaltung (Mängelmelder, Tausch- und Ehrenamtsbörsen). Herausragende Projekte sollen ausgezeichnet und ein Austausch bester Beispiele initiiert werden. Gefördert werden soll die Entwicklung und der Einsatz von bundesweiten Warn- und Informationssystemen, mit denen Bürgerinnen und Bürger per SMS, E-Mail oder über eine App über Unfälle, Gefahren und Katastrophen informiert werden können.
10. Mehr Bürgerbeteiligung
Parlament, Regierung und Verwaltung werden die Möglichkeiten der Digitalisierung intensiv nutzen und die interaktive Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft auf barrierefreien Websites ausbauen. Die Potenziale der Digitalisierung sollen zur Stärkung der Demokratie genutzt werden. Die Informationen über politische Entscheidungen quantitativ und qualitativ verbessern und die Beteiligungsmöglichkeiten für die Menschen an der politischen Willensbildung sollen ausgebaut werden. Gerade im Vorfeld von Entscheidungen ist früh, offen, umfassend und verständlich zu informieren.
Den Sachverstand und die Meinung der Bevölkerung soll auch über digitale Beteiligungsplattformen gesucht werden, so dass eine konstruktive und frühzeitige Einflussnahme von Bürgerinnen und Bürgern besser gelingt. Die Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltpolitisch relevanten Entscheidungsprozessen wird gestärkt, ohne die zügige Umsetzung von Planungsvorhaben zu gefährden.
11. Intelligente digitale Verkehrslenkung und nachhaltige Mobilitätskultur
Die Bundesregierung wird einen Teil der Investitionen der Verkehrsinfrastruktur in intelligente digitale Verkehrslenkung geben – mit dem Ziel, Staus in Deutschland bis 2020 um 10 Prozent zu reduzieren.
Angestrebt wird eine nutzerfreundliche Vernetzung der verschiedenen Verkehrsmittel. Dazu solenl verkehrsträgerübergreifende Datenplattformen auf Open-Data-Basis, die über Mobilitätsangebote, Staus, Verspätungen und Fahrplandaten informieren gefördert werden. Mit der Vernetzung von Verkehrsinformationen und Ticketsystemen können den Menschen innovative digitale Mobilitätsdienste zur Verfügung gestellt werden.
12. IT-Sicherheitsgesetz
Die Bundesregierung will ein IT-Sicherheitsgesetz mit verbindlichen Mindestanforderungen an die IT-Sicherheit für die kritischen Infrastrukturen schaffen. Darin soll auch eine Verpflichtung zur Meldung erheblicher IT-Sicherheitsvorfälle vorgeschrieben werden.
An verschiedenen Stellen setzt der Koalitionsvertrag auf mehr Vernetzung der Verwaltungsebenen. Deutlich wird dies zum Beispiel beim Thema Existenzgründer. Das fängt an bei einem Willkommen-Check für Behörden, der Schaffung von Willkommen-Agenturen, geht über die Verkürzung der Anmeldezeiten von Unternehmen auf 72 Stunden und hört auf bei der Einführung einer Gründungszeit analog dem Modell der Familienpflege auf Zeit.
Insgesamt zeigt sich, dass das Thema Digitalisierung ein Treiber für die Modernisierung auch des Staates ist. In den nächsten Jahren wird sich dieser Trend weiter fortsetzen. Die Forderung nach einem eigenen Internetministerium – im Herbst 2013 vehement diskutiert – bleibt auf der Tagesordnung und ein gesetztes Thema für die 19. Wahlperiode. Das Internet mit seiner digitalen Welt steht der realen Umwelt in nichts nach. Die zunehmende Bedeutung der Umwelt in der Politik hat schließlich auch zu einem eigenen Umweltministerium geführt.
Der Koalitionsvertrag hat manchen Forderungen widerstanden, dass Thema Internet ausschließlich unter sicherheitstechnischen Aspekten zu betrachten. Es ist richtig dass die IT-Sicherheit eine überragende Bedeutung für die Entwicklung der Wirtschaft und der Gesellschaft hat. Entsprechend wurde sie auch im Koalitionsvertrag akzentuiert. Gleiches trifft aber auch für die wirtschaftliche Entwicklung, für mehr Wettbewerb, für Bildung und Gesundheit, für neue Arbeitsplätze und für das Zusammenleben der Menschen.
Alles was digital werden kann, wird digital. Damit gewinnt das Thema Vertrauen rasant an Bedeutung. Die im Koalitionsvertrag angesprochene Umsetzung der Digitalen Agenda gemeinsam mit der Zivilgesellschaft zeigt den Weg zum Bürgerstaat auf. Dieser Weg hat den Charme einer Neujustierung des Staates in der globalisierten Welt. Das gilt für alle Politikbereiche.
Der Koalitionsvertrag ist kein Gesetz. Vieles wird in den kommenden Monaten und Jahren debattiert werden müssen. Dabei wird es Veränderungen geben. Aber ein Anfang ist gemacht für die Digitalrepublik Deutschland.
(Franz-Reinhard Habbel)
Digitalrepublik Deutschland
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