Ein funktionierender Bevölkerungsschutz ist von überragender Bedeutung
Die Risiken großer Gefahrenlagen für die Sicherheit und die Bevölkerung in Deutschland nehmen zu – das hat die jüngste Vergangenheit deutlich gezeigt. Ein funktionierender Bevölkerungsschutz ist daher von herausragender Bedeutung. Unser Ziel ist es, Staat, Gesellschaft und die Menschen besser und nachhaltiger zu schützen.
Eine unverzichtbare Grundlage dafür ist eine gemeinsame Resilienzstrategie von Bund, Ländern und Kommunen, die auf einer fundierten Risikoanalyse der wahrscheinlichsten Szenarien basiert. Der Katastrophenschutz und der Zivilschutz müssen gemeinschaftlich unter Einbeziehung der Instrumente der Gesamtverteidigung weiterentwickelt und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) erheblich gestärkt werden.
Dafür gilt es, neue Formen der Zusammenarbeit – etwa durch verbesserte Verfahren, optimierte Krisenstäbe und ein Gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz – zu etablieren. Gleichzeitig müssen wir die Vorsorge in wichtigen Bereichen wie Ausstattung, Bevorratung und Lagebildern ausbauen und zusätzliche Finanzmittel in einem eigenen Einzelplan bereitstellen. Eine Qualifizierungsoffensive mit gemeinsamen Übungen, der Aufbau einer zivilen Einsatzreserve sowie die konsequente Stärkung des Ehrenamtes und von Freiwilligendienstformaten sind für einen effektiven Bevölkerungsschutz essenziell. Zudem werden wir die bundesgesetzlichen Regelungen für den Bevölkerungsschutz modernisieren und anpassen.
Resilienzstrategie – ein vernetzter Ansatz für die Sicherheit: Die Gefahr existenzieller Krisen wächst stetig – sei es durch den Klimawandel, mögliche neue Pandemien, Cyberangriffe, Unfälle oder zunehmende sicherheitspolitische Spannungen und hybride Bedrohungen. Die Bundesregierung hat bereits 2016 in ihrem Weißbuch zur Sicherheit Deutschlands die Notwendigkeit eines vernetzten Ansatzes betont. Diese Forderung ist heute aktueller denn je.
Deutschland benötigt eine Nationale Resilienzstrategie, die als langfristige Strategie des Bundes bis 2030 umgesetzt werden soll. Sie muss Bund, Länder, Kreise und Kommunen einbinden und diese dazu motivieren, eigene länder- und regionalspezifische Resilienzstrategien zu entwickeln. Ein besonderes Augenmerk muss auf die spezifischen Sicherheitsbedürfnisse Deutschlands gelegt werden, die derzeit von der durch das BBK koordinierten Initiative auf Basis des Sendai-Prozesses der Vereinten Nationen nicht ausreichend abgedeckt werden.
Die Stärkung der Resilienz ist nicht nur eine sicherheitspolitische Notwendigkeit, sondern auch ein wirtschaftlicher Innovationstreiber mit einem erheblichen volkswirtschaftlichen Return on Investment. Die Gesamtkoordination dieser ressortübergreifenden Querschnittsaufgabe sollte daher bei einem Beauftragten der Bundesregierung für Resilienz- und Krisenmanagement im Bundeskanzleramt liegen.
Bevorratung und Reserven – Lehren aus der Pandemie ziehen: Aktuell unterstützt das BBK das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beim Aufbau einer Nationalen Reserve Gesundheitsschutz (NRGS). Diese soll die Versorgung mit medizinisch notwendigen Produkten für zukünftige Krisenfälle sicherstellen. Die ursprüngliche Idee dieses Projekts unter Gesundheitsminister Spahn sah eine abgestimmte, sich ergänzende Bevorratung von Bund und Ländern vor. Diese konzeptionelle Grundlage sollte erneut aufgegriffen und auf weitere strategische Bereiche ausgeweitet werden.
Neben dem Gesundheitsschutz sollten auch in anderen kritischen Bereichen – wie Ernährung, Energieträgern und Betreuung – nationale Reserven aufgebaut oder ad hoc verfügbar gemacht werden. Hierbei ist zu klären, welche Güter in welchem Umfang, durch wen und in welcher Form vorzuhalten sind. Das BBK könnte als Geschäftsstelle für die Koordination und Beauftragung dieser Vorhaltungen fungieren, während das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und andere anerkannte Hilfsorganisationen für den Aufbau, die Betreuung und die Vorhaltung von Einheiten im Bevölkerungsschutz zuständig sind.
Zusätzlich sollen die Bundespolizei und alle Einheiten des Bevölkerungsschutzes verpflichtet werden, eine eigene Bevorratung für eine dreimonatige autarke Eigenversorgung sicherzustellen. Die Länder und Kommunen müssen sich darauf verlassen können, dass im Krisenfall vorausschauend beschaffte und schnell verfügbare Reserven bereitstehen. Gleichzeitig ermöglicht eine umfassende Informationslage dem Bund, ein vollständiges Lagebild über materielle und personelle Reserven zu erstellen.
Über den Europäischen Katastrophenschutzmechanismus sollen drei multifunktionale Zivilschutzhubschrauber beschafft werden. Diese mittleren Transporthubschrauber sind nachtflugfähig und für Patiententransporte, Brandbekämpfung, Luftrettung und Materialtransporte geeignet. Weitere drei Maschinen sollen über die Länderfinanzierung (Königssteiner Schlüssel) für die Bundespolizei beschafft werden. Im Alltag können diese für Trainings- und Einsatzzwecke der Bundespolizei genutzt werden, stehen aber im Katastrophenfall sofort für den Zivilschutz bereit – eine Win-Win-Lösung für Bund, Länder, Kommunen und die EU.
Rechtliche Reform- und Anpassungsbedarfe: Die extremen Hochwasserereignisse der letzten Jahre zeigen, dass moderne Gesundheitssicherstellungs- und -vorsorgegesetze sowie andere gesetzliche Grundlagen reformiert werden müssen. Der Bevölkerungsschutz darf nicht erst im Spannungs- oder Verteidigungsfall greifen, sondern muss auch in schweren Krisenlagen wirksam sein.
Die Kompetenzverteilung im föderalen System Deutschlands erschwert eine umfassende Reaktionsfähigkeit. Daher sollten die Kompetenzen des Bundes um den Bereich des Katastrophenschutzes erweitert werden. Dies erfordert eine Novellierung des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes (ZSKG) sowie eine Anpassung des DRK-Gesetzes und die Schaffung eines Hilfsorganisationengesetzes, das insbesondere die Helfergleichstellung und die Finanzierung des Ehrenamtes sicherstellt.
Eine harmonisierte Warnstrategie ist ebenfalls unerlässlich. Ein gemeinsames Warnsystem mit vielfältigen Warnmitteln (z. B. Apps wie NINA, Cell Broadcasting, Sirenen) muss aufgebaut werden. Das derzeitige Bundesförderprogramm für Sirenen ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber nicht aus. Kurzfristig muss die Förderung aufgestockt, mittelfristig sollten Sirenen durch den Bund beschafft und zentral betrieben werden.
Gemeinschaftsaufgabe Bevölkerungsschutz – Strukturen effizient verzahnen: Die strikte verfassungsrechtliche Trennung zwischen Zivilschutz (Bund) und Katastrophenschutz (Länder) verhindert derzeit eine wirkungsvolle gesamtstaatliche Bevölkerungsschutzstrategie. Deshalb sollte geprüft werden, ob der Bevölkerungsschutz als Gemeinschaftsaufgabe nach Artikel 91a Grundgesetz verankert werden kann.
Auch eine leistungsfähige Krisenmanagement-Struktur muss aufgebaut werden. Ein Gemeinsamer Krisenstab der Bundesregierung mit Geschäftsstelle beim BBK könnte als fachlicher Arbeitsmuskel für einen künftigen Nationalen Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt dienen. Dies sollte durch Landeskrisenstäbe in den Staatskanzleien ergänzt werden.
Investitionen in die Sicherheit der Bevölkerung: Während für die militärische Verteidigung das NATO-Ziel von 2 % des BIP gilt, gibt es keine vergleichbare Investitionsquote für die zivile Verteidigung. Es sollte daher ein politisches Ziel definiert werden, das 0,5 % des Bundeshaushalts (ca. 2 Mrd. Euro p. a.) für den Bevölkerungsschutz vorsieht. Diese Mittel sollten in einem eigenen Einzelplan „Resilienz und Bevölkerungsschutz“ gebündelt werden.
Bonn als Bevölkerungsschutz-Hub ausbauen: Zahlreiche zentrale Behörden und Organisationen des Bevölkerungsschutzes sind bereits in Bonn angesiedelt. Es bietet sich daher an, die Stadt als Resilienz- und Bevölkerungsschutzcluster weiter auszubauen und Forschung sowie Praxis enger miteinander zu verzahnen.
Fazit: Ein moderner Bevölkerungsschutz erfordert eine ganzheitliche Strategie, klare Zuständigkeiten, ausreichende Ressourcen und eine enge Zusammenarbeit aller Akteure. Die Zeit des Zögerns ist vorbei – es braucht entschlossene Reformen, um die Sicherheit der Bevölkerung nachhaltig zu gewährleisten. (Gerd Landsberg)