Im neuen eGovernment-Benchmark Report der EU-Kommission liegt Deutschland leicht über dem EU-Durchschnitt. Marc Reinhardt, Leiter Public Sector bei Capgemini in Deutschland, ist einer der Mitautoren der Studie. Mit ihm sprach DStGB-Online.
An welcher Stelle steht Deutschland in Europa beim eGovernment?
(Reinhardt) Generell ist es gar nicht mehr so einfach zu sagen, wer wo steht. Früher wurde einfach das Online-Angebot „gezählt“, vergleichbar mit der damaligen Übung bei Bund Online. Seit 2013 liegt der Fokus aber (sinnvollerweise) auf der Nutzung – und die wird ermittelt durch Befragung von fast 30000 EU Bürgern und durch „Testkäufer“ von Online Services. Im Ergebnis steht dann auch nicht mehr nur ein Platz, sondern diverse Plätze, die entlang der diversen Indikatoren der Rankings in Einzelkategorien ermittelt werden. Dies soll den Entscheidern helfen zu schauen, in welchem Thema sie bei welchem Nachbarn noch „best practices“ abschauen können. In der Summe ist der Report damit weniger politisch geworden, als viel mehr ein Arbeitswerkzeug, mit dem sich eine Reihe von Staaten sehr intensiv beschäftigen – bis hin zu Diskussionen im Kabinett. Wenn wir aber ein Gesamturteil fällen sollten, wo Deutschland insgesamt steht, sind wir vom letzten Drittel mittlerweile auf „knapp über dem EU Durchschnitt“ vorangekommen.
Wo hat sich Deutschland im Vergleich zum vergangenen Jahr verbessert?
(Reinhardt) In der Terminologie des Reports zeigt Deutschland vor allem im Bereich „Transparenz der öffentlichen Verwaltung“ große Fortschritte. In den Kategorien User Centricity und Transparency zählt Deutschland somit zu den sogenannten „fastest grower“, den Ländern, die insgesamt die schnellste Entwicklung vorweisen können. Dahinter stehen die Früchte von Transparenzgesetzen (zB Hamburg und Bremen) sowie den Investitionen in Portale und Servicekonten (zB Bayern und Baden-Württemberg). Abweichend zur landläufigen Meinung, in der viel über die Bürger diskutiert wird (und wo weiterhin großer Nachholbedarf gegeben ist), scheint Deutschland in den Services für Unternehmen europaweit sehr gut im Rennen zu liegen. Man bekommt auch zunehmend auf Konferenzen und in Diskussionen das Gefühl, dass Deutschland langsam ernst macht mit „echtem E-Government“, und dies schlägt sich entsprechend auch langsam in den Zahlen des Benchmarks nieder.
Was müssen wir tun, um in die Spitzengruppe zu kommen?
(Reinhardt) Ich könnte da auf das von uns mitverfasste Gutachten des Normenkontrollrates „E-Government in Deutschland: Wie der Aufstieg gelingen kann“ verweisen, will aber dennoch auf die Frage etwas genauer eingehen. Der Innovators Club des DStGB zeigt, dass wir schon immer exzellente Lösungen und Initiativen im E-Government hatten, die die Nutzerorientierung gut umgesetzt hatten. Der Grund für den Rückstand im E-Government, und auch die teilweise schlechten Werte im EU Benchmark, liegt darin, dass diese eben nur isolierte Leuchttürme sind, und nicht flächendeckend verfügbar. Es hing bislang zu oft an einzelnen Vorkämpfern und Vorkämpferinnen, gute Lösungen auch gegen Widerstände durchzusetzen. Wir müssen diese Einzelleistungen systematischer machen und den Transfer zwischen einzelnen Akteuren erleichtern. Ganz wichtig ist dabei auch der Geist, der im Lande zu diesem Thema herrscht. Basierend auf einer „Kultur der Zusammenarbeit“, die wir in der Flüchtlingskrise gesehen haben, können wir die Stärken des Föderalismus ausspielen! Die aktuelle Initiative zum Portalverbund und der Interoperabilität der Servicekonten ist da ein interessanter Prüfstein, besonders interessant scheint aber auch das „Digitalisierungsprogramm“ zu werden, das der IT-Planungsrat auf seiner nächsten Sitzung diskutiert. Das alles muss mit einem ausreichenden zusätzlichen Budget versehen werden – wenn wir für Neues erst mal Vielen etwas wegnehmen müssen, blockieren wir uns auf längere Sicht in dieser Debatte.
Zudem sollte die Zusammenarbeit erleichtert werden – durch einen neuen Staatsvertrag, der über den Artikel 91 hinausgeht und Kooperation fördert und fordert, statt sie nur zu erlauben.
Auch braucht es Institutionen, die eine solche Kooperation unterstützen und katalysieren – sei es eine neue Organisation oder gerne ein IT-Planungsrat plus FITKO, der sich seiner Verantwortung stellt und einen hohen Wirkungsgrad erreicht.
Mit Einzeloptimierungen, die leider in der Vergangenheit eher die Regel waren, werden wir den Anschluss an die rasant fortschreitende Entwicklung der Digitalisierung nicht halten. In Deutschland wie in Europa müssen wir verstehen, wo Lösungen besser lokal entwickelt werden sollten, um nah am Bürger oder Unternehmer zu sein, und wo wir übergreifende Plattformen, Standards oder zentrale Lösungen brauchen. Wir haben dafür einen „Digitalen Servicestandard“ und ein föderales Architekturmanagement vorgeschlagen.
Dazu müssen aber auch bestehende Lösungen abgelöst werden und historische Erbhöfe aufgelöst werden. Und für all das ist Führungsstärke notwendig! Nur wenn wir uns einig sind, was wir erreichen wollen und warum, und dies auch von oben konsequent unterstützen und kommunizieren, wird es uns gelingen, die Zweifler und Zögerer mit auf den Weg zu nehmen – sei es durch Überzeugung oder durch „Alternativlosigkeit“.
Informationen zur Studie und den vollständigen Report finden Sie hier:
Das Interview führte Franz-Reinhard Habbel
„Wir brauchen eine Kultur der Zusammenarbeit“
Weitere Artikel
Nachrichten und Kommentare zur Modernisierung und Digitalisierung des Public Sectors. Pointiert – Informativ – der Zukunft gewidmet. Wir müssen unsere politischen Strukturen reformieren.